Gletscherstück von Nathalie Schmid

Gletscherstück von Nathalie Schmid.

Allgegenwärtig ist der verträumte, rückwärtsgewandte Blick, den die Erzähler*innen in Nathalie Schmids Gedichten zum Mittelpunkt ihres Erlebens machen. Bereits zu Beginn erlaubt sich die Ich-Erzähler*in, den Tag vor dem Abend zu loben, obwohl, oder gerade zum Trotz, der ablehnenden Worte des gegenübergestellten Dus. Über allen Alltagsbeobachtungen, Erinnerungen und inneren Dialogen schweben die Träume, die Gedachtes und Erlebtes in Nebel hüllen und aus klaren Linien verwobene Gebilde drehen. In diesen Traumzuständen wandelt ein flüchtiges Glück, welches sich genauso wenig festhalten lässt, wie die Träume selbst.

Schlaflos

Die Schatten unter den Worten
schlagen wie kleine Flügel
im Zimmer umher was
bin ich mehr als eine Dichterin
die nachts wach liegt und
sich erinnert. Rastlos in die
Dunkelheit blickt unter Sätzen
in den Nebel spricht. Bis es
vor ihrem Fenster hell wird
Licht durch die Bäume fließt.
Und immer wieder zurück
ins Echo: einst einst einst.
Dann dann dann.
Nathalie Schmid: Gletscherstück, S. 43.

45 Gedichte, aufgeteilt in 4 Zyklen, versammelt der mittlerweile dritte Gedichtband Gletscherstück von Nathalie Schmid. Während im ersten Zyklus Träume wie Hochhäuser ebjene Träume in den Himmel spriessen, werden sie spätestens im dritten Zyklus Hypnose geerdet und im anschliessenden Eine andere Form von Zärtlichkeit (Frau Suters Garten) vollkommen aus oberen Sphären geholt und durch Beobachtungen ersetzt. Frau Suter steht gebückten Hauptes im Garten, schaut den Pflanzen beim Wachsen und sich selbst beim Älterwerden zu.

Nathalie Schmid besitzt die Gabe, ihre Leser*innen in ihren Gedichten bereits mit den ersten paar Zeilen zu fesseln und auf eine Reise mitzunehmen. Im Gedicht Einst etwa, wird aus einer Beobachtung eine Erinnerung ausgelöst und auch bei sommerlichen Temperaturen steht man sofort im Schnee:

Es schneit in kleinen Flocken
und wir sind wieder Schwestern

Sofort fliegen die kleinen Flocken und die ersten Fragen tauchen auf. Warum sind die beiden wieder Schwestern? Was ist geschehen zwischen ihnen? Oder ist es Macht der Erinnerung, die sie sich einander wieder nahe fühlen lässt? Die ersten Zeilen eröffnen hier, wie in vielen anderen Gedichten Schmids, ein Erinnerungsbild und werfen die Leser*in hinein in den Bogen dieser Erinnerung.

Nathalie Schmids Lyrik hat etwas Verträumtes, Unwirkliches, findet für diese wabernden Zwischenstände aber eine klare Sprache. Häufig ist es die Erinnerung, die ihre Macht entfaltet, zum Ende des Bandes ist es die genaue Beobachtung. Gletscherstück lädt zum Träumen ein. Einer solchen Einladung sollte man unbedingt nachkommen.

Gletscherstück von Nathalie Schmid.

Nathalie Schmid: Gletscherstück.

Die Reihe Band 58.

72 Seiten.

Wolfbach.

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