Fieberträume auf grauem Inselboden

Die Dame mit der bemalten Hand von Christine Wunnicke

Eine Forschungsreise auf einen fremden Kontinent, Abenteuer und Exotik, eine Nominierung für den deutschen Buchpreis 2020 und viel Lob für Buch und Autorin. Christine Wunnickes neuester Roman kommt bei mir mit Vorschusslorbeeren und in einer gewissen Erwartungshaltung an.

Fieberträume auf grauem Inselboden

Bombay, irgendwann in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Oder präziser: nicht Bombay selbst, sondern die Insel Elephanta, auf der es alles hat, ausser Elefanten. Carsten Niebuhr liegt mit fürchterlichem Fieber irgendwo auf dieser Insel. Eigentlich hätte er gar nie hierhin kommen sollen, er, der mit fünf anderen auf Forschungsreise war, geschickt von der fernen Universität Göttingen und deren unerbittlichen Theologieprofessor Michaelis. Von den sechs Reisenden ist Niebuhr mittlerweile der einzige Überlebende, die anderen sind einer nach dem anderen an der Reise und an der unbekannten Gegend zugrunde gegangen. Das gleiche Schicksal könnte ihn auch bald ereilen, wenn man sein Fieber bedenkt.

Auch der Perser Musa al-Lahuri, der aber nur Meister Musa genannt werden will, ist auf Elephanta gestrandet. Zusammen mit seinem Bediensteten. Sowohl Meister Musa als auch Carsten Niebuhr wollen die Insel so rasch wie möglich verlassen, bis aber das nächste Schiff kommt, werden ein paar Tage vergehen. So bleibt ihnen nichts Besseres übrig, als für ein paar Tage eine Schicksalsgemeinschaft zu bilden. Die beiden Männer verbindet der Himmel, Musa ist Astrolabienbauer, Niebuhr auf vielfältige Weise im arabischen Raum forschender Mathematikus. Als gemeinsame Sprache dient ihnen das Arabische, eine gemeinsame Fremdsprache.

Vorschusslorbeeren schüren Erwartungen, nicht anders war es hier. Leider wurden diese nicht ganz erfüllt. Einerseits will der Roman sehr viel in seinem anregend-aufregenden Setting, andererseits macht er dafür erzählerisch aber zu wenig. Eine wirkliche Spannung, sei das nun zwischen den Figuren oder in der Handlung, kommt nie auf. Niebuhr liegt mehr oder weniger fiebrig rum, Meister Musa respektive dessen Bediensteter, kümmert sich um ihn und beide warten auf die Rettung, die dann auch irgendwann kommt. Die Geschichte verläuft geradlinig, der einzige Kampf auf dieser Heldenreise ist der gegen das Fieber. Für das, was die Geschichte erzählen will, setzt sie zu spät ein, die grossen Kämpfe sind bereits geschehen, Niebuhrs Reisegruppe ist bereits aufs Äusserste dezimiert und der fiebrige Niebuhr mag sich auch nicht an vergangene Grosstaten erinnern.

Sprachlich ist das sehr gekonnt und präzise erzählt, aber gerade der Hauptfigur fehlt der innere Antrieb. Ganz zu Beginn des Romanes wird erzählt, wie Niebuhr von Michaelis angeheuert wurde und auch, wie sehr Michaelis Niebuhr geringschätzte. Bereits da wird klar, wie getrieben und stur Niebuhr gewesen sein muss, um diese Reise anzutreten und sie als einziger auch zu überleben. Er bleibt aber ein undurchdringlicher Klotz, dessen innere Motive nie klar werden. Dabei wäre doch gerade das die Chance des Romanes gewesen: Der fiebrige Niebuhr hinterfragt im Fiebertraum sich selbst, seine Handlungen und Motive.

Und so blieb und bleibe ich, etwas ratlos zurück. Weil die auf tatsächlichen Begebenheiten beruhende Geschichte doch so viel Stoff geboten hätte für Konflikt, sei es zwischen den Figuren oder in der Geschichte. All dies plätschert aber leider, wie die fiebrigen Träume Niebuhrs, einfach so dahin. So bleibt ein kurzer, prägnant geschriebener Roman, der viel Potenzial vergeudet und seiner Hauptfigur nicht gerecht wird, weil sie den ganzen Roman über undurchschaubar bleibt.

Die Dame mit der bemalten Hand von Christine Wunnicke

Christine Wunnicke: Die Dame mit der bemalten Hand.

168 Seiten.

Berenberg.

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Zum Buch: bedruckter Einband (Halbleinen) · farbiges Vorsatzpapier (rosa) · fadengeheftet

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Dicke Bücher wird man im Berenberg Verlag nicht finden, ist es doch Leitsatz des 2004 von Petra und Heinrich von Berenberg gegründeten Verlags, gute und kurze Bücher zu veröffentlichen. Mit Fokus auf autobiografischer und biografischer Literatur erscheinen so jährlich bis zu zehn Titel. Immer hochwertig ausgestattet und im unverkennbaren Verlagskleid gestaltet.