Eine Erfindung geht um die Welt

Die Erfindung des Ungehorsams von Martina Clavadetscher

Ein Roman, der genauso vom Erzählen spricht, wie er sich auch dieses Erzählen selbst zum Thema gibt. Drei Zeitebenen und Geschichten verschwimmen so ineinander und erzählen uns von Anfängen und Erfindungen.

Eine Erfindung geht um die Welt

Neben der von Iris angestossenen Erzählung wird alles andere zur Nebensache. Nervös tigert sie durch ein Wohnzimmer in Manhattan, in freudiger Erwartung auf den nächsten Dinner-Termin, an dem sie ihre Geschichte weitererzählen kann. Ihre Geschichte handelt von «Halbschwester» Ling, die in einer Sexpuppenfabrik in China die perfekten Silikonkörper kontrolliert und allfällige Mängel ausmerzen muss. Weil sie so genau und exakt arbeitet, bekommt Ling bald einen neuen Auftrag, sie soll helfen, die künstliche Intelligenz für die Puppen zu trainieren. Tagelang spricht sie für die Harmony genannte K.I. Sätze ein und schaut wie Harmony darauf reagiert. Bis schlussendlich auch Harmony zu erzählen beginnt, von Ada. Ada Lovelace. Und so verflechten sich diese drei Erzählstränge ineinander, bis wir wieder zurück bei Iris sind, die immer noch in Manhattan auf einem Sofa sitzt und erzählt.

Martina Clavadetschers Roman ist auf viele Arten und Weisen un- und aussergewöhnlich. Das beginnt bereits bei der sprachlichen Ausgestaltung. Die einfache Sprache des Bandes vermischt sich mit einer komplexen Erzählung und einer ebensolchen Struktur. Vieles bleibt gerade durch diese sprachliche Schlichtheit ungesagt und bleibt so die ganze Erzähldauer über uneindeutig. Im Roman selbst, fällt zum Beispiel das Wort Sexpuppe kein einziges Mal, da verrät der Klappentext also bereits mehr, als es dann der Roman gewillt ist preiszugeben. Auch die Verknüpfung der Erzählstränge, oder genauer die Erzählsituation innerhalb dieser Stränge, bleibt komisch unbestimmt.

Jetzt ist es natürlich nicht so, dass der Roman in einfacher Sprache daherkommt, weil es nicht anders gegangen wäre, sondern aus einem viel einfacheren Motiv heraus: Die Erzählhaltung verlangt genau diese Sprache, genau diese Form, genau diesen künstlich-kalten Ton. Iris erzählt genau so, wie sie es eben kann, weil damit zwar vieles nicht gesagt wird, aber sich daraus auch viele Rückschlüsse über Iris ergeben. Der Titel deutet ja bereits an, womit sich der Roman auch beschäftigt. Clavadetscher spielt ganz bewusst mit den Motiven und Andeutungen ihrer Erzählung und vermag es, darin sehr viel zu verpacken, ohne mit der Brechstange davon zu erzählen. Man muss sich dazu nur etwa folgendes Zitat zu Gemüte führen, an dessen Stelle Iris mit der Erzählung von Ling beginnt:

Doch Iris weicht der Hand aus und schließt zur Konzen-
tration die Augen.
   Möchtest du uns jetzt von Jacquards Webstuhl
   erzählen?
Iris schüttelt den Kopf. Es ist so weit.
Sie kombiniert, die Eingebung wächst und alles andere
wird zur Nebensache.
   Kennt ihr meine Halbschwester Ling?
Martina Clavadetscher: Die Erfindung des Ungehorsams,
Zeilenumbruch wurde vom Band übernommen, S. 27.

Die Sprache deutet da bereits an, was man bald vermuten wird und am Ende der Geschichte schon fast vermuten muss. Auffallend am Zitat ist aber auch das sehr ungewöhnliche Satzbild für einen Roman, das ich (so gut das im Web eben geht) 1:1 übernommen habe. Der ganze Text steht in einem Flattersatz, stellenweise mit radikalen Zeilenumbrüchen direkt im Satz und ohne platztechnischen Grund. Viele Einrückungen sind zu finden, die oft direkte Rede widerspiegeln, aber nicht immer. Und so wird typografisch auch wieder unterstrichen, was diesen Roman ausmacht, die Freude und auch die Künstlichkeit des Erzählens, die darin verborgenen Ambiguitäten und das, was man gemeinhin als Fabulierlust bezeichnet.

Martina Clavadetscher hat mit Die Erfindung des Ungehorsams einen aussergewöhnlichen Roman geschrieben, dem es ausserordentlich gut gelingt, Form und Inhalt in Einklang zu bringen. Die Sprache, Gestaltung und Erzählstruktur stellt sich immer in den Dienst des Textes und arbeitet im Verborgenen weiter am Uneindeutigen. Wenn damit der Ungehorsam gemeint ist, dann wünscht man sich mehr davon.

Die Erfindung des Ungehorsams

Martina Clavadetscher: Die Erfindung des Ungehorsams.

288 Seiten.

Unionsverlag.

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