Der Wahrheit am Feuer – Die Kannibalen von Álvaro Do Carvalhal

Übersetzt aus dem Portugiesischen von Claudia Cuadra und Magnus Chrapkowski

Ein wildes Konvolut aus Ideen, eine klassische Femme fatale, ein phantastischer Stoff, ein höchst unzuverlässiger Erzähler und ganz selbstverständlich, Kannibalismus.

Der Wahrheit am Feuer

Vorhang auf.

Man nehme eine femme fatale, Margarida, einen unglücklich in sie verliebten Mann, Don João, und einen Nebenbuhler, Vicomte von Aveleda, dem die Gefühle der Frau gelten. Fertig ist das Liebesdreieck. Fertig ist die Ausgangslage für diese phantastischen Novelle, die sich in der Folge lose, aber wirklich nur äusserst lose, an diesem Dreieck abhandeln wird. Die Geschichte spielt in gehobenen Kreisen, an Bällen gesegnet von einer «majestätischen Sonne», in Sälen umgeben von «[w]ohlriechend[en] Blumen in riesenhaften Vasen aus emailliertem Porzellan» und auch der Fries des Kamins ist mit «kapriziösen Rosetten gekrönt[…]». Sie merken schon: hier wird nicht gekleckert.

Zwischen all dem stehen drei Figuren, deren Liebesbeziehung und ein Erzähler. Denn dieser Erzähler hat eindeutig mehr Spass daran auszuschweifen oder gerade Geschehens zu juxtaposieren, denn sich an den tatsächlichen Begebenheiten zu orientieren. Das Erzählprogramm dieser Erzählung ist dementsprechend unmissverständlich: Ganz zu Beginn wird Boileau mit «Rien n’est beau que le vrai» zitiert, nur um dann in der Folge absoluten Wahnsinn, der Vieles sein mag, aber ganz sicher nicht echt, wahrhaftig oder wahr, folgen zu lassen.

Dieser Erzähler lacht sich also ins Fäustchen und spielt mit der Leser*in genauso geschickt, wie mit seinem Figurenkabinett und zimmert daraus einen komplexen Plot, der Phantastisches, Übernatürliches und Erkenntnistheoretisches vermischt und als Konglomerat ausgibt. Alles kann wahr sein. Alles kann gelogen sein. Selbst die Liebe. Natürlich, all dies ist auf keine Art und Weise erheblich oder tut der Freude an der Lektüre dieser Novelle Abbruch. Gerade dieser Katz-und-Maus spielende Erzähler ist es ja, der diese Geschichte (und die Lesefreude daran) vorantreibt.

Álvaro do Carvalhal ist ein weithin unbekannter Autor, dem es zumindest zuzutrauen gewesen wäre, zu einem der grossen der Phantastik aufzusteigen (das leuchtet Gerhard Wild im 60(!) seitigen Nachwort sehr genau und weiter aus). Nachwortschreiber Wild greift hier sogar die literarischen Ränge eines Edgar Allan Poes oder eines E.T.A. Hoffmans auf. Ganz so weit gekommen ist es nicht, sonst wären wir ja jetzt nicht hier. Einer der Gründe ist offensichtlich: Die Kannibalen haben eine schwierige Veröffentlichungsgeschichte, ursprünglich erschienen als Seriendruck in einer Zeitschrift, die just in dem Moment zugrunde ging, als das letzte Kapitel hätte erscheinen sollen. Komplett veröffentlicht wurde das 1868 entstandene Schriftstück dadurch erst viel später, nämlich 1988, nachdem die Geschichte verfilmt wurde (Os Canibais von Manoel de Oliveira). Dort dann auch mit dem bisher unveröffentlicht gebliebenem letzten Kapitel.

Man könnte (und sollte wohl) jetzt natürlich noch über die breiten Bezüge, die Motivik etc. des Werks diskutieren, ich werde aber etwas anderes tun (keine Sorge, ich amte hier als ganz zuverlässiger Erzähler): Nämlich auf die Übersetzung hinweisen, die dem Übersetzerduo aus Claudia Cuadra und Magnus Chrapkowski ausgezeichnet gelungen ist. Ein breites Register mussten sie ziehen, um die opulente, wirkmächtige Sprache von do Carvalhal in eine deutsche Entsprechung zu schieben. Wilder Wahnsinn musste lesbar, nachvollziehbar gemacht werden, Ironie wollte entschlüsselt und neu verpackt werden. Ein schwieriges Unterfangen, welches dem Duo aber geglückt ist.

Und so schliesse ich diese Besprechung (hoffentlich nur halb so wild, wie das zugrundeliegende Buch) mit einem einfachen Hinweis: Freude ist nie verkehrt und wer diese möchte, macht mit der Lektüre von diesem Bändchen sicherlich wenig falsch (es sei denn, Sie sind eine gänzlich humorlose Zeitgenoss*in, da kann dann auch die Literatur leider nicht mehr weiterhelfen). Bleiben Sie phantastisch und neugierig. Ich lache nun wieder hinter den Kulissen.

Vorhang zu.

Die Kannibalen von Alvaro Do Carvalhal

Álvaro do Carvalhal: Die Kannibalen.

Aus dem Portugiesischen von Claudia Cuadra und Magnus Chrapkowski.

Mit einem Nachwort von Gerhard Wild.

Originalveröffentlichung 1868.

160 Seiten.

Arco.

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Zum Buch: Broschur · Klebebindung

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