Die Wunderkammer der deutschen Sprache

Der Verlag Das kulturelle Gedächtnis hat schon einige Schätze gehoben, im neuesten Buch des Verlags wird zwar keiner gehoben, aber einer erschaffen. Der deutschen Sprache wird eine Wunderkammer spendiert, in der ihre Kuriositäten, Abwegigkeiten und Teilmengen mit funkelnden Augen zu betrachten sind. Ein Brief.

Die Wunderkammer der deutschen Sprache

Hochwohlgebohrene Menschen,

Seien Sie in ihrer majestätischen Exzellenz und Hocherhabenheit gegrüsst. Höchst unterthan werde ich Ihnen im folgenden meine Gedanken zum vornehmst veredelten Werke Die Wunderkammer der deutschen Sprache in Briefform aufbereiten.

Kaum aufgeblättert, sind in dieser Wunderkammer Sätze der Grimm’schen Märchen zu bestaunen. Nicht etwa deren ikonische Anfänge, sondern die Schlusssätze, die nicht minder ikonisch, das moralische Beiwort zu den Märchen flankieren. Das Staunen wird Ihnen da aber noch nicht abgehen, nach diesem Rückgriff auf unsere geteilte Erzähltradition (Märchen, nicht die Grimms), können weiterhin zahlreiche Entdeckungen gemacht werden. So können Sie in Erfahrung bringen, was Wörter wie “Dibberstamm”, “Hirtenflöte” oder “Gehabstand” bedeuten oder bedeutet haben. Karten des DACH-Raums zeigen, wie unterschiedlich die Bezeichnungen für einen einzigen Gegenstand in den verschiedenen Regionen sein können. Dazu gesellen sich Palindrome, Verdeutschungen, Kuralien (denen Sie den höchst angemessenen, ihrer höchsten Würdigkeit entsprechenden, Ton verdanken), Unwörter, Küchensprachen, Homonyme, Ortsnamen …

Bild des Farbkopfschnittes von Die Wunderkammer der deutschen Sprache.

Ihre Vorstellungskraft wird Ihnen bereits vorausgeeilt sein, Die Wunderkammer der deutschen Sprache ist eine Schatzkiste, die selbst einem sprachkundigsten Menschen wie Ihnen noch ein Lächeln aufs Gesicht zaubern wird. Weil natürlich, trotz ihrer beachtlichen und beeindruckenden Weisheit und Gelehrtheit, eine einzelne Person nie alle Aspekte einer Sprache erfassen wird können. Mit viel Vergnügen bin ich ergebener Diener durch die Wunderkammer vorausgeeilt und habe mich auf jeder Seite von neuen Umständen des Deutschen irritieren, überraschen und verzaubern lassen. In bester Tradition der Coffee-Table-Books, lädt die Wunderkammer zum wiederholten Stöbern und Entdecken ein.

An dieser Stelle erlaube ich mir aber nun, bitte verzeihen Sie mir diesen Auswuchs, auf einen Makel der Wunderkammer hinzuweisen. Als unterthänig Lesender, der, nicht wie Sie, hochwohlgebohrene Leserschaft, gebildet in allen Dingen ist und dementsprechend keiner Quellen bedürfte, haben mir ebjene Quellen gefehlt. Ganz vereinzelt wird als Randnotiz eine Quelle vermerkt, manchmal auch im Fliesstext auf den Ursprung hingewiesen, oft fehlt aber die Information, woher die im Buch behaupteten Umstände ihren Wahrheitsgehalt beziehen. Lassen Sie mich das an einem Beispiel aus meinem eigenen Idiom illustrieren. Wenn etwa die Rede von ungebräuchlich gewordenen Wörtern ist, tauchen da auch Wörter wie “Perron” oder “strählen” auf. Dies mag für Deutschland der Fall sein, als in der Schweiz sesshafter Mensch kann ich Ihnen aber versichern, dass es sich in diesen beiden Fällen ganz sicher nicht um ungebräuchliche Worte handelt. Jeder Bahnsteig in der Schweiz ist als Perron angeschrieben, gesprochen wie geschrieben wird in den meisten Regionen nur dieses Wort verwendet. Gleiches gilt fürs strählen, ein in der Schweiz sehr geläufiges und gebräuchliches Wort. Ohne Quelle muss man sich also der Frage stellen, wie genau denn nun die Ungebräuchlichkeit abgeleitet wurde.

Einen zweiten Fall, sie verzeihen mir bitte den plötzlichen Redeschwall, gab es im Küchenlexikon Schweizerisch-Deutsch zu entdecken. Denn auch hier fehlen die Quellen und so haben sich offensichtliche Fehler eingeschlichen. Das “Bettmümpfeli”, wird dabei als “das Naschwerk auf dem Nachtisch[sic]” bezeichnet, das Bettmümpfeli hat aber rein gar nichts mit der örtlichen Platzierung zu tun, sondern wird als Süssigkeit, die vor dem Zubettgehen zu sich genommen wird, verstanden. Sie mögen mir die anekdotische Beweisführung vergeben, die hervorgehobenen Makel sind dem unterthänigst Lesenden aber sofort aufgefallen, ohne dass systematisch nach Fehlern gesucht worden wäre, woraus sich auch der Wunsch nach Quellen ableiten lässt.

Ausschnitt aus dem Buch, Doppelseite mit Wörtern und Unwörtern des Jahres.

Abgesehen von diesem Makel, den ich Ihnen nicht vorenthalten konnte, werte Leserschaft, ist dieses Buch ein Schmuckstück. Die Wunderkammer enthält nicht nur vortrefflichst spannende Inhalte, diese Inhalte wurden auch aufs Grossartigste grafisch zur Schau getragen und werden auch den typografisch Gelehrten unter Ihnen Freude bereiten. Dazu kommt eine herausragende Buchgestaltung, mit Farbkopfschnitt, zweifarbigem Druck etc. Einzig der Fadenheftung werden die Puristen unter Ihnen mit einem weinenden Auge nachblicken müssen, da darauf leider verzichtet wurde.

Werte hochwohlgebohrene Herr-, Frau- und *schaften, ich hoffe gnädigst, Ihnen mit meinen kurzen, unschöpferischen Worten einen Einblick in das Buche vermittelt zu haben, demnach Sie ihre zukünftigen Kaufhandlungen richten können.

Allerunterthänigst treu grüsse ich sie,
Ihr ergebenster Diener für das Unbekannte, Unabhängige,

Nick Lüthi

Die Wunderkammer der deutschen Sprache – Ein Füllhorn.

Thomas Böhm, Carsten Pfeiffer (Hg.): Die Wunderkammer der deutschen Sprache – Gefüllt mit Wortschönheiten, Kuriositäten, Alltagspoesie und Episoden der Sprachgeschichte.

Mit Beiträgen von Ulrich Blumenbach, Thomas Böhm, Mirko Bonné, Karen Duve, Erik Fosnes Hansen, Arnon Grünberg, Franz Hohler, Felicitas Hoppe, Georg Klein, Kathrin Kunkel-Bazum, Sibylle Lewitscharoff, Carsten Pfeiffer.

Grafische Gestaltung von 2xGoldstein+Schöfer.

304 Seiten.

Das Kulturelle Gedächtnis.

Webseite zum Buch

Zum Buch: geprägter Einband (Karton) · farbiges Vorsatzpapier (grau) · Lesebändchen (orange) · zweifarbiger Druck · farbiger Kopfschnitt (orange) · Klebebindung

Mehr über die Bücher des Verlags Das Kulturelle Gedächtnis:
Viel klingender kann ein Name für einen Verlag nicht sein, als es beim Verlag Das Kulturelle Gedächtnis der Fall ist. Vergessenes soll wiederentdeckt werden, Notwendiges wird ausgegraben, entstaubt und neu aufgelegt. Beschränkt auf sechs bis acht Titel pro Jahr, werden so in Berlin seit 2017 alte Wunderlampen neu gerieben.