Die Grausamkeit der Gesetzmässigkeit – Filio ist nicht daheim von Berta Bojetu

Übersetzt aus dem Slowensichen von Klaus Detlef Olof

Weder Titel noch Cover dieses Romanes lassen erahnen, welche schauerliche Geschichte sich im Innern verbergen wird. Drei gebeutelte Schicksale, die eng aneinander geknüpft sind, bahnen sich ihren Weg auf einer grausamen Insel.

Die Grausamkeit der Gesetzmässigkeit

Die Insel steht ganz weit weg. Es gibt einen Weg aufs Festland, nur kennt den fast niemand. Sie ist nicht gross, nur eine kleine Stadt hat auf ihr Platz. In der Oberstadt wohnen die Frauen, in der Unterstadt die Männer. Treffen zwischen den Geschlechtern finden des Nachts, ohne Worte und in kalter Grausamkeit statt. Nur am Sonntag treffen sie sich auch während des Tages, in der Kirche, aber auch da wortlos und ohne Blickkontakt. Diese Insel, auf der diese Frauen und Männer leben, leben müssen, hat viele Geheimnisse. Wir werden zumindest einige davon im Verlauf der Geschichte erfahren. Vieles aber wird verborgen bleiben, vieles davon ist auch nicht so wichtig. Es ist wie es ist, würden die Alten sagen und danach wieder ihrer Arbeit nachgehen.

Filio, mit der dieser Roman beginnt, war tatsächlich weg von dieser Insel, 16 Jahre hat sie auf dem Festland gelebt und sich eine Existenz aufgebaut. Nun kehrt sie zurück, um ihre alternde Grossmutter zu pflegen. Obwohl ihr auf der Insel Schreckliches widerfahren ist, kann sie nicht von ihr loslassen. Durch den Schleier ihrer Erinnerung erfahren wir nach und nach mehr über die Geschichte der Insel und ihre Geheimnisse.

Filio ist nicht daheim ist der geschickte Verschleierungsschachzug einer grossen Autorin. In unauffälliger, schlichter Sprache, berichten die Ich-Erzähler*innen von ihrem Alltag. Man wird erst später merken, dass sie gar nicht anders können, als in diesem Ton zu sprechen. Das, was auf der Insel passiert, ist schrecklich, aber es ist Alltag, den alle zu tragen haben. Manche haben halt einen schwereren Rucksack als andere. Die Dimension ihres Rucksacks, können diese Menschen gar nicht beurteilen, höchstens erahnen. Den Roman wird man wohl am ehesten als Anti-Utopie bezeichnen können, ein unbekannter autokratischer Besitzer lenkt gottgleich die Geschicke der Menschen auf dieser Insel. Überwacht vom Wachaufseher, der hoch zu Ross und mit Peitschenhieben Befehle in Taten umsetzten lässt. Aber auch er hat Angst, hat einen Besitzer, nur weiss das niemand.

Berta Bojetu erzählt diese Geschichte unglaublich geschickt. Nach und nach werden die Geheimnisse dieser Insel enthüllt, man liest den Roman, als wäre es ein Mystery-Thriller, bei dem man nur auf die Auflösung der clever konstruierten Geschichte wartet. Dabei merkt man gar nicht, wie hochkomplex dieser Roman ist. Wie diskret und detailgetreu er die Psychogramme seiner Figuren nachzeichnet. Erst wenn die letzte Seite aus ist, die man genauso gebannt wie die Erste gelesen hat, merkt man, dass sich die Hälfte immer noch nicht erklären lässt. Vielleicht gar nicht erklären lassen kann. Aber auch, wie gekonnt man an der Nase herumgeführt wurde und am Ende alles komplexer und verknüpfter ist, als man gedacht hatte.

Die Übersetzung von Klaus Detlef Olof ist unauffällig und stellenweise eigentümlich. Und das ist tatsächlich ein Kompliment und wichtig für diesen Roman. Diesen halbbatzig* gebildeten Menschen fehlen manchmal die Worte, sie sprechen einen Dialekt, den kaum jemand versteht, ihre Sätze müssen eigentümlich, altehrwürdig klingen. Olof fängt also ein, was die Autorin im slowenischen Original beabsichtigt hatte, ein bis ans Ende durchdachtes und ausgereiftes Werk.

Es gibt viele Motive und Themen wie Macht, Unterdrückung oder Gewalt, die man eigentlich noch thematisieren müsste. Ich kann das hier aber nicht in der Länge machen, nach der dieser Roman verlangen würde. Ich empfehle deshalb eine Ersatzhandlung: Man sollte diesen hochkomplexen, grossartig komponierten, schrecklichen Roman, der sich trotz Allem leicht und flüssig liest, unbedingt lesen!

Man verzeihe mir hier den Helvetismus. Halbbatzig benutzt man, wenn etwas nur zur Hälfte gemacht wurde, eben nur halb. Der Duden beschreibt das Wort als 'ungenügend, unzulänglich' was einigermassen stimmt, die Nuancen des Begriffes aber sicherlich nicht einfängt.

Filio ist nicht daheim von Berta Bojetu

Berta Bojetu: Filio ist nicht daheim.

Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof.

Originalveröffentlichung 1990.

Reihe: Slowenische Bibliothek.

232 Seiten.

Drava Wieser ZTT-EST.

Webseite zum Buch

Zum Buch: bedruckter Schutzumschlag · bedruckter Einband (Karton) · Lesebändchen (weiss) · fadengheftet

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Der Wieser Verlag macht Literatur aus dem europäischen Osten. Hauptsächlich Belletristik, immer wieder aber auch Sachbücher, verlegt der seit über 20 Jahren bestehende und in Klagenfurt/Celovec beheimatete Verlag. Einen besonderen Schwerpunkt bildet dabei die slowenische Literatur, wo mittlerweile gut 100 Titel zusammengekommen sind.

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Die Slowenische Bibliothek ist ein Gemeinschaftsprojekt der drei Verlagshäuser Drava, Wieser und ZTT-EST und wurde im Frühjahr 2020 gestartet. Verlegt werden die wichtigsten Werke aus der slownenischen Literaturgeschichte. Bis ins Jahr 2022 sollen so gute drei Dutzend Bände zusammenkommen.