Hysteria von Eckhart Nickel

Mir wurde vom Verlag ein elektronisches Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.

Bergheim, ein hypersensibler Zeitgenosse und Studienabgänger der Kulinarik, entdeckt seltsame und komisch gefärbte Himbeeren auf dem Markt. Verwundert, macht er sich auf Spurensuche und besucht die Genossenschaft, die sich für die Himbeeren verantwortlich zeichnet. Bei dieser Genossenschaft trifft er auf das mythenumrankte Kulinarische Institut und trifft dort zwei seiner alten Kommilitonen wieder. Doch hier fängt die Verwirrung erst an.

Und diese Verwirrung, sie zieht sich nicht nur durch die Geschichte selbst, auch dem Leser bleibt sie meist treu. Hysteria ist etwas wirr, im Aufbau wie auch in der Erzählung und leider löst sich diese Wirrheit zum Ende nicht ganz auf. Aber vermutlich geht das gar nicht anders, denn Bergheim ist ein komischer Kauz. Mit übertriebenem Geruchssinn und Geschmacksnerven gesegnet, geht er den meisten Menschen gehörig auf den Zeiger. Bergheim als Protagonist macht Spass und zwar so richtig. Das fängt ja bereits beim Namen an und geht weiter wenn er eigentlich ein Hypersensibler Mensch ist und immer mit den Menschen mitfühlt, aber immer auch wieder ein gehöriger Trampel ist, der nicht weiss wie er sich verhalten soll.

Nickel schreibt in amüsantem Duktus, der immer wieder zwischen dem Ton des Erstsemesters der sich durch aufgeblasene Sprache zu profilieren meint und dem Ton der Satire oszilliert. Das ist durchwegs amüsant, aber manchmal etwas gar viel, stellenweise verliert sich da dann der Roman, wenn nur noch geschwollen Dahingeredet wird, aber nichts mehr passiert. So passiert es dann auch, dass der Roman stellenweise etwas gar zäh ist. Es passiert dann einfach zu wenig und als Leser hat man keine Lust die Spannung selbst aufrechtzuerhalten.

Hysteria ist dann am besten, wenn wirklich erzählt wird, dies ist meist in den Rückblenden der Fall, die von Bergheims Studienzeit mit seinen besten Freunden Charlotte und Ansgar erzählen. Diese Episoden sind auch immer wieder gespickt von pseudowissenschaftlichem Blödsinn, dass es eine wahre Freude ist. Da gibt es etwas die Aromabar, die Charlotte und Bergheim in einer Rückblende aufsuchen, in der alleine durch bestimmte Gerüche rauschartige Zustände ausgelöst werden können. In den schlechteren Momenten werfen sich gebildete Leute schwachsinnige Kulturtheorien an den Kopf. Man fühlt sich da wie als Kind, das hinausgeschickt worden ist, weil jetzt die Erwachsenen reden.

Der vorliegende Roman ist eine wilde Mixtur. Mal ist der Roman Satire, mal Gesellschaftskritik, mal Dystopie und mal Liebesroman. Nicht, dass sich diese Dinge per se ausschliessen würden, aber wenn der Roman selbst nicht weiss wo er hin will, wie soll dann der Leser wissen, wo er hin soll? Gerade im zweiten Teil, sobald sich Bergheim im Kulinarischen Institut wiederfindet tauchen vermehrt Elemente der Dystopie auf. Immer wie mehr zeichnet der Roman hier eine Welt, die sich auf die Natur besinnen möchte und von der Kultur wieder entfremden und entfernen soll. Dies ist auch das eigentliche, das grosse Thema des Romans, was bedeuten Natur und Kultur für den Menschen? Es ist natürlich nicht weit hergeholt da an die philosophische Anthropologie (vorwiegend) deutscher Prägung zu denken. Ich musste sofort an Arnold Gehlen und seinen Begriff des Mängelwesens denken. Hysteria erörtert hier durchaus interessante Themen wie, was bedeutet Natur für den Menschen? und die neue Bewegung des “Spurenlosen Lebens„ entlarvt sich hier ja gerade dadurch, dass es die Natur so gar nicht mehr geben kann. Leider verliert sich hier der Roman ab und an wieder selbst, ist es nun Kulturpamphlet, philosophische Abhandlung oder einfach pseudowissenschaftlicher Blödsinn? Man weiss es nicht so genau. Es ist zwar auch durchaus gut, bezieht hier der Roman keine Stellung, aber ein bisschen mehr Klarheit hätte trotz allem nicht geschadet.

Mein Gesamturteil zu Hysteria bleibt ein gemischtes. Ist der Roman lesenswert? Ja, auf jeden Fall. Es macht Spass und ist durchaus unterhaltsame Lektüre. Aber, Hysteria scheint mir immer wieder am eigenen Anspruch zu scheitern. Der Umgang mit dem eigentlichen Hauptthema, was heissen Natur und Kultur für den Menschen, ist stellenweise etwas ungeschickt, weil zum Teil zu klar Stellung bezogen wird, zum Teil aber auch zu vieles schwammig bleibt. Hier hätten für mich die Motive meist etwas klarer herausgearbeitet werden sollen. Trotzdem, Hysteria ist lesenswert. Der gewählte Themenkomplex macht Freude und bietet viel Platz für eigene Überlegungen zum Thema. Von daher: Lesen. Und dann dürft ihr mir dann auch gerne wütende Emails und Tweets zusenden, weshalb ich damit falschliege.

Website des Verlags zum Buch


Eckhart Nickel: Hysteria, erhältlich als Hardcover und E-book, 240 Seiten, Piper.