Der Tod des Löwen von Auguste Hauschner

Der Tod des Löwen von Auguste Hauschner.

In einem interessanten Referat von Ingeborg Fiala-Fürst wird Auguste Hauschner von ihr als “Urgrossmutter der Prager Deutschen Literatur” bezeichnet. Mit dieser Metapher greift Fiala-Fürst wesentliche Punkte über Hauschner und ihre Wahrnehmung auf, denn über die Urgrossmütter ist oftmals nicht wirklich viel bekannt, sie werden immer nur alt gedacht, stehen zeitlich vor den anderen Exponenten (in diesem Fall wären das etwa Max Brod oder Franz Kafka) und mit der “Prager Deutschen Literatur” wird der Geburtsort und Werksmittelpunkt Hauschners bereits mitgedacht. Obwohl sie einen grossen Teil ihres Lebens in Berlin verbracht hat (und viele Werke dort entstanden sind), blieb das böhmische Prag Mittelpunkt ihrer Werke, genauso wie dies für “Der Tod des Löwen” der Fall ist. Hauschner ist als einzige der hier vorgestellten Schriftstellerinnen einigermassen literaturwissenschaftlich erforscht. Um das aber in einen grösseren Kontext zu stellen: Der vorliegende Roman erschien 1916 zum ersten Mal, wurde 1922 ein weiteres Mal aufgelegt, seither aber nicht mehr. Also obwohl ihr Werk ein wenig erforscht ist, ist es nicht eines, dass zugänglich ist respektive war. Nun ist er aber wieder erhältlich, der – so heisst es auf dem Cover – “vergessene Prag-Roman”.

Es ist der Winter 1611. Über Prag steht ein rätselhafter Komet, der die Stadt in ein blutrotes Licht taucht. Der Kaiser, Rudolf II., scheint langsam aber sicher den Verstand zu verlieren. Geplagt von Verfolgungswahn wittert er hinter jeder Ecke Gestalten, die ihm niederträchtig gesinnt sind. Im hofeigenen Zoo haust, neben vielen anderen exotischen Tieren, ein imposantes Löwenmännchen:

Des Kaisers Verfolgungswahn wird nicht kleiner, als er feststellen muss, dass der Löwe nichts mehr fressen will. Besorgt von diesem Umstand und bedroht von seinem Bruder, Matthias, Kaiser von Ungarn, sucht Rudolf II. Alchemisten und Astronomen auf, die sowohl den Löwen als auch das schlechte Zeichen des Kometen umdeuten sollen. Da diese nicht helfen können, sucht er voller Verzweiflung schlussendlich beim Rabbi Löw nach Hilfe, verliebt sich aber dabei in dessen bildschöne Tochter Golde. Von ungestümer Liebe übermannt, zieht der liebestolle Kaiser in seine Schatzkammer zurück, um der Geliebten die letzten Schätze des Reiches zu eröffnen. Zieht dabei aber den Zorn seiner gebeutelten Knechtschaft auf sich.

Der Kaiser ist in der Novelle die Figur, die durch die Geschichte führt, wirklicher Protagonist ist er aber nicht, er ist viel eher konstanter Auslöser verschiedenster Ereignisse, der in Plätze geworfen wird und dort durch seinen Wahn Dinge in Gang bringt. Als Figur handelt er oft überraschend und sorgt für die eine oder andere heitere Szene, weil er auch ein klein wenig lächerlich ist. Schon ganz zu Beginn etwa, sagt er seinen engsten Vertrauten den Kampf an, überzeugt davon, diese seien zu seinem Bruder übergelaufen und hätten diesem die Treue geschworen. In seinem illusorischen Weltbild gefangen, ist er auch nicht mehr fähig, die Realität zu erkennen und entsprechend zu beurteilen und damit zeigt sich ein weiteres wichtiges Element dieser Novelle, das Übernatürliche.

Denn nebst einem gewissen Realismus ist diese Novelle Auguste Hauschners auch mystifiziert und dadurch überhöht, also übernatürlich. Das Übernatürliche beginnt bereits mit der Weissagung von Kaiser und Löwe und wird fortgeführt durch die Alchemisten und die Magie, die in diesem Kosmos durchaus ihren Platz haben. Der Kaiser sucht die Alchimisten auf, lässt sich von ihnen, im Dunkel der Nacht, Flüche heraufbeschwören und Weissagungen treffen, kann aber dort nicht mehr unterscheiden zwischen echt und übernatürlich. Diese Mystifizierung ist ein wichtiges und konstant vorkommendes Element im Erzählstrang. Die Geschichte lebt zudem auch von ihrer Atmosphäre und die wird durch ihren Handlungsort, Prag, vorgegeben und definiert. Hauschner beschwört hier ein bedrohliches Prag herauf, die Stadt ist durch den Kometen konstant in rotes Licht gehüllt, der wahngeplagte Kaiser erträgt Helligkeit nicht mehr und so findet alles in abgedunkelten Räumen, in den Katakomben oder in der Nacht statt. Es sind unter anderem auch diese Elemente, die Fiala-Fürst veranlasst hatten, Hauschner als Urgrossmutter zu bezeichnen, denn hier vorkommende Elemente (atmosphärische Düsternis, Golem, Magie, Alchemie) finden sich in späteren Werken der Prager Deutschen Literatur wieder, wie etwa in Meyerinks Golem und später dann bei Max Brod oder Franz Kafka.

Genauso wie Übernatürliches und Realistisches hier vermischt werden, vermengt Auguste Hauschner auch historische Akkuratheit mit freier Fabulierlust. Die Figuren sind (mit einer Ausnahme) alle historisch akkurat, die Ereignisse aber freie Erfindung, wie Veronika Jičínská im Nachwort noch einmal betont. Die Novelle hat somit einen Sonderstatus im Schaffen Hauschners, ist es doch der einzige historische Stoff, den sie in ihren Werken behandelt hat. Historisch akkurat sind nebst den Figuren auch die Radierungen, die in der Neuausgabe abgedruckt sind, sie entsprechen denjenigen der ersten Ausgabe von 1916. Überhaupt legt der Homunculus Verlag hier eine sehr schöne Ausgabe vor, die mit geprägtem Cover in Gold, bedrucktem Vorsatzpapier (Silhouette von Prag) und Fadenheftung daherkommt. Abgerundet wird die Ausgabe mit einem kurzen und präzisen Nachwort von Veronika Jičínská. So gehören Klassiker Neuausgaben gemacht, in wertiger Ausgabe und mit einem Nachwort versehen, dass die wichtigsten historischen Bezüge herstellt und kurz über die Autor*in informiert.

Wie auch bei allen anderen heute besprochenen Werken bleibt nur das Rätseln übrig, wie die Novelle vergessen gehen konnte. Fiala-Fürsts Metapher der Urgrossmutter liefert dabei ein erstes Indiz, werden diese doch gerne vergessen oder nur als Randnotiz noch so erwähnt. Begründet ist dieses Vergessen, wie auch bei allen anderen Werken, eindeutig nicht.

Der Tod des Löwen von Auguste Hauschner.

Auguste Hauschner: Der Tod des Löwen.

Mit Radierungen von Hugo Steiner-Prag.

Mit einem Nachwort von Veronika Jičínská.

Originalveröffentlichung 1916.

180 Seiten.

Homunculus.

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