Verlieben, Verloren, Vergessen und dann…

Hintergrund für Liebe von Helen Wolff

Wolfgang Petrys Liedtext mag nicht ganz passen, spiegelt aber trotzdem irgendwie die Geschichte dieses Romanes wider. Erst kam die Liebe, dann ging die Niederschrift dieser Liebe mehr oder weniger verloren und vergessen, bis sie irgendwo in einem Estrich wieder aufgetaucht ist und nun endlich veröffentlicht wurde. Ganze 90 Jahre nach seinem Entstehen.

Verlieben, Verloren, Vergessen und dann…

Man könnte sich Hintergrund für Liebe von Helen Wolff biographisch nähern. Die darin vorkommenden autobiographischen Bezüge herausstellen, über ihre Verlegerinnentätigkeit und die Briefwechsel mit berühmten Schriftstellern sinnieren, aber ganz ehrlich, damit wird man dem Roman nicht gerecht. Denn damit macht man ihn nur zu einem weiteren Werk einer – je nach Kreis – mehr oder weniger bekannten Person, ein Werk, dass nur beachtenswert ist, weil sie dessen Urheberin war. Genau dies ist aber dieser Roman nicht. Er ist ein grosser Fund, völlig unabhängig von der Lebensgeschichte seiner Verfasserin.

Sommer, frühe 30er Jahre. Es ist die Geschichte einer grossen Liebe. Eine junge Frau und ein 20 Jahre älterer Mann sitzen gemeinsam im Auto, weg aus Deutschland, ins sommerliche Exil nach Frankreich. Es ist schwül, der Fahrtwind treibt die beiden rastlos vorwärts, das Geld wird für die nächsten paar Monate reichen. Getrieben werden die Liebenden auch von der Ungewissheit, ein gemeinsames Leben, ein Zusammen, einen Alltag, das gibt es da noch nicht. Die nächsten Monate sollen aber genügend Gelegenheit genau dazu bieten. Die Welt, die sich, kaum erholt, schon wieder auf dem Weg in den Niedergang befindet, ist ganz weit weg und so bleibt viel Zeit, um zu suchen. Nach Liebe. Und Leben.

In fliessend leichter Sprache, die ganz nah an der namenlosen Ich-Erzählerin steht, begleitet Helen Wolffs Erzählung die Liebenden durch den Sommer und versucht dabei zu verorten, was für ein Fundament, egal in welchen Zeiten, dazu nötig sein wird. Die Sprache ist betörend, voller Eleganz, zugepackt mit innerer Wahrheit und umwoben vom Zauber eines schönen Traums. Eingefangen wird dabei nicht nur die Liebe, sondern auch das Gefühl des Sommers, das Wehen der Haare im Wind, die stehende Luft am Mittag, die Freude der kühlen Nacht, die Wärme anderer Körper, der Glanz vergangener Tage. All das wirkt mühelos in die Atmosphäre des Romanes gebettet und macht aus dieser Liebesgeschichte sehr viel mehr.

Dass man es im Weidle Verlag versteht, bisher Unbeachtetes zu entdecken und gebührend mit neuem Leben zu versehen, sollte man eigentlich nicht mehr erwähnen müssen. Trotzdem, was für ein Fundstück! Wie es sich für den Verlag gehört, ist nicht nur der Inhalt, sondern auch das Buch selbst ein Schmuckstück. Obwohl “nur” broschiert, liegt der fadengebundene Band wunderbar in der Hand, hat einen schmucken Satz und fühlt sich durchweg äusserst wertig an. Ergänzt wird der Roman, der nur die Hälfte des Buches ausmacht (116 Seiten), durch einen Essay von Marion Detjen, die darin die Lebenssituation der damals noch nicht verheirateten Wolffs zur Entstehungszeit genauer beleuchtet. Diese Annäherung ist aufschlussreich und liefert viele spannende Bezüge zur Biographie Helen Wolffs, die für ein so klar autobiographisches Werk wie dieses sehr viel Sinn ergeben. Der Essay soll aber nicht davon ablenken, dass die Kür da bereits erfolgt ist.

Helen Wolffs Hintergrund für Liebe ist eine grosse Entdeckung! Ganz ähnlich wie etwa Friederike Manner oder Gutti Alsen im letzten Jahr, gibt es hier ein Stück deutsche Literaturgeschichte erstmals zu entdecken. Gegossen in wunderschöne Sprache voller Leichtigkeit, Wahrheit und Introspektion erwartet die Lesenden ein Roman, den man so schnell nicht wieder aus der Hand legen will.

Hintergrund für Liebe von Helen Wolff

Helen Wolff: Hintergrund für Liebe.

Mit einem Essay von Marion Detjen.

Entstanden um 1932. Erstveröffentlichung.

216 Seiten.

Weidle.

Webseite zum Buch

Zum Buch: Broschur · fadengeheftet

Mehr über die Bücher des Weidle Verlags:
Spezialisiert auf Literatur aus den 1920er und 1930 Jahren, bietet der Weidle Verlag seit 1993 eine Plattform für Wiederentdeckungen und Vergessenes. 2005 mit dem Kurt Wolff Preis ausgezeichnet, ist der in Bonn beheimatete Verlag auch für seine gestalterisch anspruchsvollen Werke bekannt.