Die Gefährten der Erde

Unfollow von Lukas Jüliger

Ein siebenjähriger Junge erwacht und erinnert sich zurück bis ins Kambrium. Earthboi wird er sich später nennen, zu der Zeit, zu der er die ganze Welt in seinen Bann schlagen wird. Lukas Jüliger wirft uns diesen Earthboi um die Ohren, als Spiegel und als Messinstrument.

Die Gefährten der Erde

Ein Kind erwacht und, so scheint es, mit ihm die ganze Menschheit. Earthboi ist ein besonderes Kind, geplagt mit den Erinnerungen der ganzen Natur. Nach kurzem Aufenthalt bei einer Pflegefamilie und danach in der Jugendpsychiatrie (aus der übrigens die Wir-Erzähler*innen stammen), verschwindet der Junge im Wald. Bald darauf beginnt er, auf sozialen Netzwerken zu posten, Videos zu machen und die Menschen auf ihre Verbindung mit der Natur zurückzubesinnen. Schnell wird er so zum globalen Influencer, zum Sprachrohr einer ganzen Gesellschaft. Immer mehr werden sie, diejenigen die seiner Botschaft zur Rettung der Erde und der Natur horchen. Er programmiert eine App, zieht sich in die Natur zurück und beginnt schnell auf ein grosses, letztes Projekt hin zu planen.

Lukas Jüliger gelingt es in Unfollow, den globalen Dialog um unsere Umwelt in die zeitkritische Form des Influencertums zu pressen. In leicht phantastischem Setting, exerziert der Comic dann durch, wie dieser Proto-Umwelt-Influencer aussehen könnte. Es ist nie ganz klar, woher Eartboi kommt und wie er zu seinem Wissen um die Welt kam (wobei gegen Ende ziemlich deutliche Hinweise gestreut werden). Innerhalb dieser Urban Fantasy wird Earthboi fast absolute Macht zugeschrieben, er versteht die Menschen, er weiss, wie er sie beeinflussen kann und wie bei allen guten Influencern, nimmt auch das Gefolge um Earthboi schnell Ausmasse an, die er weder kontrollieren kann, noch kontrollieren möchte.

Vom ersten Bild an ist diese Geschichte mitreissend und treibt mit ungeheurer Spannung voran. Die Spannung ist aber eine doppelbödige, schnell wird man von unguten Gefühlen, von einer Schwermut befasst. Es ist beeindruckend, wie gut Jüliger die Stellschrauben anzusetzen weiss. Seinen Erzählgegenstand hat er bis ins Innerste verstanden und verwebt so die Themen um Natur und globaler Influencerkultur in einen äusserst berauschenden Cocktail, der viele Fragen elegant verpackt behandelt, ohne sie je direkt aufzuwerfen. Geschickt umgeht der Band Plattitüden und Oberflächlichkeiten und driftet auch nie in Moralapostelei ab, was sich sowohl am phantastischen Setting, wie auch der gekonnten Erzählstruktur festmachen lässt.

Identikid von Moa Romanova.

Die feinen, detaillierten Striche von Jüliger sind rudimentär schattiert und jeweils mit einem der zwei beherrschenden Farbtöne des Bandes hinterlegt: rot oder blau. Die Atmosphäre und auch die Zweiteilung, die Hin- und Hergerissenheit der Figuren, ja der gesamten Erzählgegenstände, wird so weiter unterstrichen. Jüliger erzählt komplett ohne Dialoge und es gelingt ihm, was den wenigsten Comics bescheiden ist: Sowohl der Text als auch die Bilder könnten für sich alleine stehen und mehr oder minder die gesamte Geschichte erzählen ohne, dass deren Strahlkraft verloren ginge. Wie gesagt, ein berauschender Cocktail.

Seine aussergewöhnlichen Fähigkeiten hat Lukas Jüliger schon in seinem ersten Band Vakuum unter Beweis gestellt. Unfollow ist nichts anderes als die Perfektion dieser Mittel. Jüliger erzählt mit der gleichen Verve und der gleichen Eleganz eine eindringliche Geschichte, die perfekt aus dem Bauch dieser Zeit rausgeschnitten scheint.

Lukas Jüliger: Unfollow

Lukas Jüliger: Unfollow.

168 Seiten.

Reprodukt.

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Zum Buch: Klappbroschur · bedruckter Vorsatz (Grafik) · fadengeheftet · durchgehend farbig

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Der Berliner Reprodukt Verlag ist seit seiner Entstehung 1991 auf Comics spezialisiert. Waren es zu Beginn hauptsächlich amerikanische Independent-Comics die verlegt wurden, sind seit 1994 und 2004 auch deutschsprachige und frankobelgische Zeichner\*innen fester Bestandteil des Programms.

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