Den Tod dichtend verändern – Gedichte erinnern eine Stimme von Sigurður Pálsson

Übersetzt aus dem Isländischen von Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer

Gedichte erinnern eine Stimme von Sigurður Pálsson.

Im Elif Verlag erblickt heute ein weiterer zweisprachiger Gedichtband eines isländischen Dichters das Licht der Welt. Dieser Gedichtband trägt dabei eine Stimme hinaus in die Welt, die ein letztes Mal gehört werden will. Sigurður Pálsson, der Autor von “Gedichte erinnern eine Stimme”, starb kurze Zeit nach der isländischen Erstveröffentlichung. Pálsson wusste um seinen baldigen Tod und verarbeitete diese Gewissheit im vorliegenden Gedichtzyklus. Den Gedichten haftet aber keine Tragik an, sie tragen eine Stimme hinaus, nicht mehr, nicht weniger.

Es ist beeindruckend, wie konsequent der Zyklus in seiner Struktur aufgebaut ist. Diese Struktur zeigt sich unter anderem an den vorherrschenden Motiven. Zwei dieser Motive stechen besonders hervor, die titelgebenden Stimme und die Nacht. Gegliedert in vier Teile, ist die Stimme in den ersten drei Teilen tonangebend, verschwindet danach aber komplett und überlasst der Nacht das Feld. Anhand der Titel der einzelnen Teile und Gedichte bildet sich ein Kreislauf, dem diese beiden Motive konsequent folgen. Bereits in der zweiten Zeile des ersten Gedichtes “Feuer und Schatten” erklingt eine, da noch unbestimmte, Stimme.

Feuer und Schatten
und eine Stimme

Diese Stimme ist bereits, wie alle Stimmen in diesen Gedichten, eine sanfte, nur von nahem hörbare, die aber trotzdem vernommen und verstanden werden kann. In der Folge nimmt die Stimme aber auch an Klangkraft zu. All die Stimmen verschaffen den Dingen Gehör, die nicht gehört werden wollen. Bringen dadurch die Dinge in den Vordergrund, die ansonsten im Verborgenen und Dunklen geblieben sind. Exemplarisch zeigt sich dies etwa am schlicht “Eine Stimme” betitelten Gedicht.

Eine Stimme

Eine Stimme
immer eine Stimme
weit hinten im Traum

Eine Stimme die kaum zu hören ist
Eine Stimme die nicht verstummt
Seltsam

Eine Stimme die das Leben ist
Ich spüre sie
weit hinten im Traum

Immer
Sigurður Pálsson, Gedichte erinnern eine Stimme, S. 19.

Die Stimmen und ihre Klangkraft kulminieren im dritten Teil. Im “Stimmen in der Luft” betitelten Teil sind 12 Gedichte versammelt, die der Stimme einen letzten Aufschwung verschaffen. All das, was bisher noch nicht gesagt werden konnte, wird nun noch einmal gesagt. Die Stimme löst sich von der “Erde” und erhebt sich in die Luft. Am Ende dieser zwölf Gedichte erlischt die Stimme, sie entweicht in der Luft. Hat ihre Arbeit getan. An die Stelle der Stimme tritt die Nacht als dominantes Motiv. Aber diese hat durch die Arbeit der Stimmen ihre Dunkelheit verloren, wird hell und weiss. Als die Stimme verschwindet, taucht ein erster Stern auf und erhellt die Nacht.

Gemein ist sowohl den Stimmen wie auch der Nacht, dass sie ihrer Bedrohlichkeit komplett entledigt worden sind. Die Stimmen flüstern zwar dem Erzähler Dinge zu, aber nur, weil sie gehört werden wollen. Die Stimmen wollen nichts Böses, im Gegenteil, sie überhöhen und poetisieren die Beobachtungen und das vereinnahmende Alltägliche. Gleiches gilt für die Nacht, in den letzten beiden Gedichten wird sie “schneeweiss” und in ihrem Verlauf dann “zusehends heller” und so werden wir mit einem letzten Aufschrei an Liebe in die helle Nacht entlassen. Der Kreis schliesst sich hier, nachdem sich die Stimme von der Erde gelöst und die Nacht ihrer Bedrohlichkeit entledigt worden ist.

Alleine durch diesen Kreislauf gelingt es Pálsson, mich als Leser zu fesseln und mich in seinen Sprachbildern suhlen zu wollen. Durch die formale Strenge der Struktur erhalten die Gedichte zusätzlichen Aufwind und Deutungstiefe. Es ist selten, dass Bücher Hoffnung oder Trost spenden. Sigurður Pálsson gelingt das. Am Ende ist alles gesagt, die Stimme kann verstummen, die Bedrohung ist gewichen, nun kann man weiterziehen.

Nebst den Gedichten, sind an diesem Buch zwei Dinge hervorzuheben, einerseits das Übersetzerteam Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer und andererseits das Buch als Gegenstand. Gíslason und Schiffer leisten erneut grossartige Arbeit (die beiden haben auch schon Freiheit von Linda Vilhjálmsdóttir übersetzt). So versuchen sie auch immer, die Gedichte nicht nur inhaltlich zu übertragen, sondern auch Repetition und Rhythmisierung der Sprache abzubilden. Das ist keine leichte Aufgabe, so verhält sich beispielsweise das Isländische mit bestimmten und unbestimmten Artikeln ganz anders, diese werden am Wortende markiert. Das zweite hervorzuhebende Ding ist das Buch, in dem diese Gedichte abgedruckt sind. In breitem, für Lyrikbände unüblichem, Format, auf dickem, wertigem Papier, mit farbigem Vorsatzpapier und geprägtem Schutzumschlag, ist dieses Buch sowohl für das Auge wie auch für die Hand ein Schmuckstück.

Sigurður Pálsson erzählt in einfacher Sprache von Verlust, Nicht-mehr-können und Anders-machen-müssen. Die Sichtweise wird dabei aber nie hoffnungslos. Im Gegenteil, die Nacht wird erhellt und bisher unerhörte Stimmen werden erhört. Sigurður Pálsson selbst ist übrigens auch eine unerhörte Stimme, bisher waren seine Gedichte nicht auf Deutsch verfügbar und man darf sich freuen, dass sie es nun sind. Genauso gerne wie ich in den Worten Pálssons versunken bin, werde ich auch den sehr schön gestalteten Band in mein Bücherregal stellen.

Gedichte erinnern eine Stimme von Sigurður Pálsson.

Sigurður Pálsson: Gedichte erinnern eine Stimme.

Aus dem Isländischen übertragen von Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer.

Originalveröffentlichung 2016.

132 Seiten.

Elif Verlag.

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Der Elif Verlag ist ein unabhängiger deutscher Verlag, welcher hauptsächlich Lyrik verlegt. Immer mit einem Augenmerk auf der Gestaltung, ohne dabei aber das Wesentliche, die Qualität der Texte, zu vergessen. Nebst den Lyrikveröffentlichungen finden sich immer wieder Prosastücke im Programm.

Verleger Dinçer Güçyeter war zu Gast im BookGazette Podcast. Nachzuhören hier:

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