Vergessene Werke vier bedeutender Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts

Vier neu aufgelegte Werke grösstenteils vergessener Autorinnen.

Das die Werke Schreibender vergessen gehen ist wahrlich nichts Neues. Wenn jedes Jahr über 70’000 neue deutschsprachige Titel produziert werden, muss zwangsläufig vieles wieder vergessen werden. Diesen Kreislauf des Vergessens bedauert auch niemand, die meisten Werke gehen ja aus gutem Grund vergessen. Es gibt aber ein zweites Vergessen und dies ist ein sehr viel anderes. Bedeutende Werke, die nicht mehr aufgelegt werden, die in der Wissenschaft ignoriert werden und dann allmählich verschwinden, meist nur noch antiquarisch erhältlich sind. Dieses Vergessen, das Ungerechtfertigte, hat sowohl Frauen als auch Männer getroffen, gerade jüdische Schriftsteller*innen deren Werk vor oder während der Weltkriege entstanden sind. Aber wen wunderts, die Männer wurden meist (natürlich auch nicht immer) wieder aufgegriffen und aus dem Vergessen geholt. Die Frauen nicht. Das lässt sich ganz einfach belegen, am weiterhin männlich tradierten und verfärbten Kanon, also der Werke, die gemeinhin als wichtig, herausragend und stilbildend innerhalb einer Fülle an Werken angesehen werden. Wäre dem nicht so, wären Bemühungen wie Die Kanon nicht vonnöten, denn Die Kanon zeigt sehr schön, dass die landläufige Meinung, es hätten halt mehr Männer als Frauen geschrieben, schlichtweg nicht haltbar ist. Wer sich da noch tiefer einlesen will, dem empfehle ich diesen ausgezeichneten Artikel von Katharina Herrmann.

Man kann diese Entwicklung bedauern, man kann sie beklagen, schlussendlich gibt es aber nur eine Lösung: die Wiederentdeckung und Neuedition der Werke dieser vergessenen Autorinnen. Exemplarisch an vier Beispielen, möchte ich beleuchten, wie unabhängige Verlage genau diese wichtige Arbeit übernehmen und wieder dorthin Licht werfen, wo schon lange Licht hingehört. In den letzten 5 Wochen sind nämlich in drei Verlagen Werke erschienen, die dies verdeutlichen.

Der Homunculus Verlag holt mit “Requiem” von Gutti Alsen und “Der Tod des Löwen” von Auguste Hauschner zwei Werke jüdisch-deutscher Schriftstellerinnen hervor, die vielleicht auch wegen ihren geografischen Lebensmittelpunkten (Königsberg und Prag) vergessen gegangen sind. Der Weidle Verlag übersetzt mit “Flügel in Flammen” das Gesamtwerk von Dagny Juel und macht die norwegische Autorin zum ersten Mal überhaupt auf Deutsch zugänglich und die Edition Atelier legt den 1948 erschienenen Exilroman “Die dunklen Jahre” von Friederike Manner neu auf. Wer sich diese vier Werke (oder vorerst auch nur eines) zur Brust nimmt, der wird, so behaupte ich, keine Sekunde an der Bedeutung des jeweiligen Werkes zweifeln. “Requiem” ist ein expressionistisches Meisterwerk mit erstaunlich modernen Zügen, “Die dunklen Jahre” einer der bedeutendsten Exilromane über die NS-Zeit, “Der Tod des Löwen” einer der grossen Prag-Romane und das Gesamtwerk Dagny Juels schlussendlich, ein viel zu kurzes Gesamtwerk, das nicht vergessen gehen sollte.

In tabellarischer Form schaut dieses Protokoll des Vergessens dann so aus:

  • “Flügel in Flammen”: Das Gesamtwerk von Dagny Juel entstand vermutlich zwischen 1895 und 1901. Gesammelt veröffentlicht wurde es 1996 auf Norwegisch. Auf Deutsch waren ihre Werke bisher nicht verfügbar.
  • “Die dunklen Jahre”: Friederike Manners Roman wurde 1948 einmal aufgelegt, seither nie wieder.
  • “Requiem”: Gutti Alsens Novelle erschien 1929 in Erstauflage. Es blieb bei dieser.
  • “Der Tod des Löwen”: 1916 zum ersten Mal, 1922 zum zweiten Mal veröffentlicht, ist der Roman seither nicht mehr erhältlich. Die Ausgaben von 1916 und 1922 kosten so um die 1000 Euro.

Exemplarisch an diesen drei Verlagen zeigt sich eine wichtige Funktion, die vorwiegend von unabhängigen und kleinen Verlagen übernommen wird: Werke, die nicht erforscht und nicht zugänglich sind (viel Spass dem, der Werke von Gutti Alsen, Dagny Juel oder Friederike Manner ergattern möchte), werden wieder veröffentlicht und so überhaupt erst wieder rezipierbar. Erst wenn die Werke wieder verfügbar sind, besteht überhaupt die Möglichkeit, dass sie erforscht und eingereiht werden können. Ein gutes Geschäft sind solche Veröffentlichungen wahrscheinlich nicht, der Tausendste King oder Brown, wird wohl mehr Käufer hervorlocken als unbekannte jüdische, deutsche oder norwegische Schriftstellerinnen. Trotzdem sind es gerade die kleinen Verlage, die dieser Wiederentdeckung nachkommen, weil es hier eben nicht nur ums Geschäft geht, es geht um die Liebe zu den Büchern, zu ihren Inhalten und zu ihren Verfasser*innen. Man kann ihnen nicht dankbar genug sein für diese wundervolle Arbeit. Beim Lesen dieser Werke ging mir des Öfteren der Kinnladen runter, weil ich das lese und mir, in der mir eigenen, etwas naiven Art denke, “Wie kann man so etwas vergessen, wie kann ein so bedeutendes, berührendes Buch aus der kollektiven Erinnerung verschwinden”. Gerade die Romane von Gutti Alsen und Friederike Manner haben mich aufs Tiefste berührt und auch verfolgt. Deshalb auch im Sinne des heutigen Indiebookdays, erinnert euch der kleinen und unabhängigen Verlage, da geht es nie nur ums Geschäft, deren Bücher sind immer auch Herzensangelegenheiten.

Die Besprechungen der vier Bücher finden sich hier:

Wie zu Beginn dieses Artikels bereits angedeutet, es lässt sich nur vermuten, wie diese Werke vergessen werden konnten. Der offensichtlichste Aspekt ist klar, die Werke sind alle von Frauen geschrieben worden und geschichtlich war es leider einfach so, dass die Werke von Frauen marginalisiert worden sind und nicht die Aufmerksamkeit und Bedeutung erfahren haben, die ihnen eigentlich gebührt. Bei Alsen und Hauschner wird sicherlich auch die geografische Distanz eine Rolle gespielt haben, gerade Königsberg ist und war kaum auf der Landkarte deutschsprachiger Literatur verzeichnet. Bei Gutti Alsen und Friederike Manner vermute ich, dass die autobiografischen Bezüge der Werke und damit die starke Subjektivität auch eine Rolle gespielt haben könnte. Unabhängig der ursprünglichen Beweggründe, vergessen gehört keines dieser Werke. Dank dem Wirken unabhängiger Verlage sind sie nun endlich wieder erhältlich.

Das anfängliche Protokoll des Vergessens liest sich nun doch deutlich besser.

  • “Flügel in Flammen”: Erschien 2019 erstmals als kommentierte Gesamtausgabe.
  • “Die dunklen Jahre”: Seit 2019 wieder erhältlich.
  • “Requiem”: Seit 2019 wieder erhältlich.
  • “Der Tod des Löwen”: 1916 zum ersten Mal, 1922 zum zweiten Mal veröffentlicht, ist der Roman seit 2019 wieder verfügbar.

Genauso wie die Edition Atelier, der Homunculus Verlag und der Weidle Verlag vergessene Werke aus der Vergessenheit geholt haben, tun dies viele andere unabhängige Verlage auch, für die hatte es in diesem Artikel leider keinen Platz, sie haben aber immer in den normalen Beiträgen ihren Platz. Wer Blut geleckt hat und weiterhin mehr zu unabhängigen Verlagen vernehmen will, so gibt es hier eine noch kurze Liste mit Verlagen, unten hat es ein Formular für den Newsletter, Links für Instagram, Twitter und Mojoreads hat es dorten auch. Hier ist jeden Tag indiebookday, denn es gibt noch viel zu entdecken!